Ich fand es sehr, sehr lieb von Nicole with a glow ;-), dass sie meinen letzten Post in Sachen Burnout in ihrem Juni-Rückblick erwähnt hat. Darin schreibt sie, dass es sie sehr bewegt, wie ich es geschafft habe. Und ja, ich habe es geschafft, endlich zum Arzt zu gehen, als nichts mehr ging. Freiwillig habe ich das nicht getan… erst als meine Familie mir drohte, mich hinzutragen, wenn ich nicht selbst gehe. Rückblickend war es die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Ich habe keine Ahnung, was passiert wäre, wenn meine Ärztin mich nicht sofort aus dem Verkehr gezogen hätte.
Seitdem sind fast neun Monate vergangen. Ich habe lange auf einen Therapieplatz gewartet. Das ist normal in diesem Land und ich habe keine Ahnung, ob es Länder gibt, in dem das schneller geht. Vermutlich nicht. Eine private Krankenversicherung hilft dabei übrigens nicht unbedingt weiter. Ich nehme gerade an einer Studie zur Rückkehr in den Beruf teil. In meiner Studiengruppe sind einige Betroffene, die privat krankenversichert sind. Die haben auf den Therapieplatz genauso lange gewartet wie ich. Es gibt halt viel zu wenig Plätze.
Ende März war die Therapie beendet. Und rückblickend fing die Arbeit da erst so richtig an. Es ist nun mal nicht so, dass man - und das hatte ich in meiner Unbedarftheit erwartet - 100 Tipps und Tricks zur Bewältigung von Stress schwarz auf weiß bekommt und die bei passender Gelegenheit zückt und damit aus dem Schneider ist. Ihr seht, ich hatte durchaus putzige Vorstellungen.
Nur: So funktioniert es nicht. Ja, ich bekam eine ganze Reihe von Strategien zur Entspannung an die Hand. Im Rahmen einer tiefenpsychologischen Therapie habe ich gemeinsam mit meinem Therapeuten entdeckt, woher ich die Anlagen zum Burnout habe. Ich weiß, dass Verhaltensweisen, die ich schon als Kind gelernt habe, über Bord geworfen werden müssen. Aber das zu tun und alles auch dann anzuwenden, wenn es darauf ankommt, ist wahnsinnig schwierig.
In der Tagesklinik habe ich mich sehr viel mit MBSR (Mindfulness-based stress reduction) oder schlicht Achtsamkeit beschäftigt. Ein Konzept, das mich sehr begeistert hat und das mir wirklich hilft. Aber dass es so schwierig ist, tatsächlich achtsam im Hier und Jetzt zu sein und nicht in entscheidenden Momenten wieder dem altbekannten Autopiloten das Steuer zu überlassen ist für mich eine wahnsinnige Herausforderung. Jeden Tag aufs Neue, in jedem Moment.
In normalen Alltag funktioniert Vieles inzwischen recht gut. Der ist allerdings auch nur selten von wirklich großem Stress geprägt. Immerhin gelingt es mir, meinen Hang zum Perfektionismus im Alltag mehr und mehr zu überwinden. Aber immer klappt das auch nicht. Kleines Beispiel: Ich gehe seit einigen Monaten fünf- bis sechsmal pro Woche morgens schwimmen. In den ersten Wochen habe ich mich selbst gezwungen, mindestens einen Kilometer zu schwimmen. Warum? Fragt mich etwas Einfacheres. Eine geringere Distanz ging einfach nicht. Es musste mindestens ein Kilometer sein - ob mir danach war oder nicht. Inzwischen kann ich wunderbar nach 500 oder 600 Metern aufhören und im Therapiebecken einfach nur im Wasser liegen und spüren, wie mein Körper beim Ausatmen nach unten sinke und beim Einatmen aus dem Wasser kommt. Für mich war das im Übrigen eine völlig faszinierende Erkenntnis, dass das funktioniert. Ich kann mich wie ein Schnitzel freuen, wenn beim Schwimmen plötzlich die Sonne hinter den Wolken hervorkommt und das Wasser zum Glitzern bringt. Irre. Vor einem halben Jahr hätte ich das nicht einmal am Rande bemerkt.
Die wirkliche Herausforderung ist aber nach wie vor der Job. Achtsamkeit in Momenten von beruflichem Stress ist noch einmal ein ganz anderes Kaliber. Verhaltensweise erst einmal zu bemerken und dann noch zu hinterfragen, die man 20 Jahre lang ohne nachzudenken einfach durchgezogen hat ist absolute Schwerstarbeit. Zu bemerken, wann man in alte Muster fällt und dem Autopiloten das Steuer überlässt ist unglaublich schwierig. Im ersten Anlauf zurück in den Job habe ich das viel zu oft nicht geschafft. Aber immerhin habe ich es registriert und Konsequenzen gezogen. Ein erster Schritt, aber eben wirklich nur ein Schritt.
Von „geschafft“ kann also noch keine Rede sein. Um zu sagen, dass ich es geschafft habe, werden noch viele Monate und vielleicht sogar Jahre ins Land ziehen. Aber immerhin bin ich auf meinem Weg. Und wohin der nich noch führt, darauf bin ich selbst gerade sehr gespannt.
Liebe Grüße
Fran