Dass ich jemals in einem Burnout landen würde, hätte ich nie für möglich gehalten. Ich liebe meinen Job. Er ist mein Traumjob. Journalistin war mein Berufsziel schon lange vor dem Abitur. Und selbstverständlich achtete ich auf mich. Dachte ich. Immerhin war ein Wochenende pro Monat für einen Wochenendtrip reserviert und ich habe mir jeden Morgen Zeit für Sport genommen. Dumm nur: Das reichte nicht.
Ich liebe meinen Job
Was ich an diesem Job liebe und was gleichzeitig der Fluch ist: Man kann als Journalistin, selbst bei einer Lokalzeitung, Dinge bewegen und verändern. Das ist toll. Mit einem Bericht über eine Kaninchenausstellung ändert man eher nichts. Deshalb habe ich mich vor allem mit Kommunalpolitik beschäftigt. Oder sagen wir: Ich habe mich da reingefressen. Gemeinderäte, Stadträte, Kreistage - ich liebe es. Dummerweise tagen die vorzugsweise am Abend. Und der Artikel muss am nächsten Tag spätestens mittags fertig sein. Also war nix mit einem ruhigen Vormittag, wenn man am Abend vorher erst um 23 Uhr zuhause war. War mir egal. Es hat mir riesigen Spaß gemacht. Der Nebeneffekt: Abschalten vom Job ist schwierig.
Beförderung
Dann die Beförderung zur Redaktionsleitung. Als das Angebot kam, habe ich natürlich ja gesagt. Ich habe es geschafft, die Organisation in der Redaktion komplett umzukrempeln. Daran waren zwei Redaktionsleiter vor mir gescheitert. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich war nicht irre stolz darauf. Aber natürlich wollte ich auch weiter schreiben. Die Tage wurde lang und länger.
Erste Ausfallerscheinungen kamen schon vor mehr als zwei Jahren. Rückenschmerzen direkt aus der Hölle. Egal. Spritze, Tabletten und gut. Kopfschmerzen von morgens bis abends? Gibt ja Ibuprofen.
Corona: Alles ein bisschen schwieriger
Dann kam Corona und die Redaktionsarbeit musste noch einmal ganz neu organisiert werden. Zum einen wegen Homeoffice und zum anderen, weil einfach nichts mehr stattfand, über das man hätte berichten können. Die Kommunalpolitik war quasi für ein knappes halbes Jahr ausgesetzt. Kulturveranstaltungen? Fehlanzeige. Nicht mal die Kaninchenzüchter boten Stoff. Trotzdem erwartete der Leser natürlich eine interessante Ausgabe jeden Morgen am Frühstückstisch. Themenfindung und Recherche waren aber aufgrund der Beschränkungen deutlich erschwert und kosteten Zeit.
Die Tage wurden noch länger. Die Rückenschmerzen kamen öfter, die Tage ohne Kopfschmerzen konnte ich an einer Hand abzählen. Egal. Da muss man durch.
Das Insolvenz-Gespenst
Ein halbes Jahr später kam die drohende Insolvenz. Für die gesamte Redaktion quasi ein Signal, noch einmal richtig reinzuhauen, denn es bestand ja die Möglichkeit, dass ein Verlag das Blatt kauft und weiterführt. Wenn es denn gut ist. In meinen Arbeitsvertrag stehen 36,5 Stunden. Gearbeitet habe ich knapp 60. Manchmal mehr, wenn ein Sonntagsdienst anlag. Dazu kam unglaublich viel Frust, weil jegliche Unterstützung durch die Verlagsleitung fehlte. Zu den Rücken- und Kopfschmerzen kamen deutliche Konzentrationsprobleme und ich hatte immer öfter das Gefühl, keine Energie mehr zu haben.
Aber das wird ja alles besser, wenn diese Phase geschafft ist. Dachte ich. Die Zeitung wurde gekauft und weitergeführt. Quasi ein Sechser im Lotto samt Zusatzzahl. Wir haben uns wahnsinnig gefreut und natürlich war jetzt Einsatz gefordert. Die neuen Verleger sollten ja sehen, dass sie eine tolle Zeitung gekauft hatten.
Neubeginn mit viel Initiative
Es kamen jede Menge Änderungen, auf die wir jahrelang gewartet hatten. Neue Räume, neue Hardware, endlich ein Redaktionssystem, das den Namen verdient und ein neues Layout-System, das die Uralt-Lösung ablöste. Dummerweise verbunden mit extrem wenig Schulung. Eigeninitiative war gefragt. Kein Problem, kann ich.
Parallel dazu ein monatelanger Lockdown. Am Wochenende auf Kurztrip? Ging nicht. Super. Die Zeit kann man ja nutzen. Um sich in die neuen System einzuarbeiten, Themen zu entwickeln und zu recherchieren. Die Krankheitszeiten der Kollegen dehnten sich aus. Parallel wurde selbstverständlich ein wenig gespart. Wochenenddienst hieß jetzt, dass der Redakteur jetzt auch das Layout macht. Das war vorher anders. Da gab es eben jemanden, der layoutete.
In dieser Phase gehörte Ibuprofen quasi zu meinen Grundnahrungsmitteln, ich war nicht mehr in der Lage, mich länger als maximal 15 Minuten zu konzentrieren. Dann guckte ich 15 Minuten aus dem Fenster, ohne irgendetwas wahrzunehmen. Geschlafen habe ich pro Nacht bestenfalls noch drei Stunden. Meine Ernährung bestand aus Süßigkeiten, Kaffee und ein paar Keksen. Vernünftig aß ich nur, wenn das Kind kochte. Wer mich ansprach, weil er irgendetwas von mir wollte, musste damit leben, dass ich einfach nur pissig reagierte. Ich verkroch mich ins Homeoffice, da fiel das nicht so auf. Meine Freunde hatte ich lange nicht mehr gesehen. Keine Zeit für sowas. Meine Motivation war nicht mehr aufzufinden. Ich quälte mich durch jeden Tag.
Mein Vater starb und ehrlich gesagt habe ich das bis heute nicht wirklich begriffen, weil ich keine Kapazitäten hatte, das zu verarbeiten. Trauer? Keine Zeit. Die Welt nahm ich sowieso nur noch durch eine Watteschicht wahr.
Erste Konsequenzen
Im Mai habe ich dann erste Konsequenzen gezogen. Ich habe die Redaktionsleitung abgegeben. Hätte ich weitergemacht, wäre ich irgendwann umgefallen. Das war mir klar. Meine Kollegen fanden das suboptimal und ließen mich das deutlich spüren. Ich gönnte mir eine Woche Urlaub und fuhr trotz Corona weg. Das brauchte ich einfach.
Ich dachte ernsthaft, eine Woche Auszeit reicht. Das fühlte sich tatsächlich auch ein paar Woche so an. Fühlte sich so an, war aber nicht so. Ich habe mich wieder ins Schreiben gestürzt, nachdem jetzt alle administrative Arbeit weg war. Doch alle anderen Probleme blieben: Konzentrationsprobleme, Kopf- und Rückenschmerzen, Schlaflosigkeit. Ach ja, Magenprobleme hatten sich inzwischen auch dazugesellt.
Motivation und neue Energie hielt nur kurz. Dann schleppte ich mich durch die Wochen mit der Aussicht auf meinen dreiwöchigen Urlaub. Der würde es richten.
Um es kurz zu machen: Der Urlaub war toll, ich habe ihn sehr genossen. Aber gerichtet hat er nichts. Der Stresspegel im Job war unverändert hoch. Manchmal noch höher. Urlaubszeit und Krankeit sorgten dafür, dass ich über Wochen zwei Aufmacher pro Tag schrieb. Freiwillig, wohlgemerkt. Ging es mir schlecht, reagierte ich sofort mit einem Anschiss an mich selbst: „Stell dich nicht so an“.
Zu den sonstigen Symptomen kamen Panikattacken und viele Momente, in denen ich einfach nur noch geweint habe. Meine Familie hatte mir seit Anfang des Jahres regelmäßig nahegelegt, doch einfach zu kündigen. Pfft. Die spinnen doch. Mach ich nicht, will ich nicht. Es wird ja wieder besser. irgendwann.
Und der finale Crash
Dass der endgültige Zusammenbruch bevorstand, war im Oktober irgendwann sogar mir klar. Also saß ich an einem Donnerstag vor meinem Chef und habe ihm gesagt: „ich kann nicht mehr. Ich bin leer, ich bin ausgebrannt. Es geht nicht mehr“. Deutlicher konnte ich nicht werden. Dachte ich. Die Antwort: „Bis Ende November müssen Sie noch durchhalten“. Ok, ich würde also durchhalten. Weitermachen. Stell dich nicht so an, Fran! So ein bisschen Stress und du hängst durch. Das waren tatsächlich meine Gedanken.
Ich hielt noch zwei Tage durch. Dann kam ein Wochenddienst und der totale Crash. Fragt mich nicht, wie ich die Ausgabe fertig bekommen habe, nachdem ich am Samstag komplett zusammengebrochen bin. Im Supermarkt, beim Einkaufen. Die Blicke der anderen Kunden haben mich nicht interessiert.
Irgendwie habe ich es trotzdem geschafft, noch eine Ausgabe zu produzieren. Weinend, zitternd, völlig verzweifelt. Ich konnte nicht mehr. Nichts mehr. Ich glaube, ich habe noch nie so viel geweint wie an diesem Wochenende. Am Montag hat mich meine Familie dann unter Androhung von Strafe zum Arzt geschickt. Freiwillig wäre ich vermutlich nicht gegangen.
Meine Hausärztin hat mich dann, immer noch weinend und völlig fertig, aus dem Verkehr gezogen. Sie hat mir dringend geraten, einen Psychiater aufzusuchen. Ich habe es nicht einmal geschafft, mich dagegen zu wehren. Inzwischen war selbst mir klar, dass ich Hilfe brauche.
Liebe Grüße
Fran