*Ich bin weder Psychologin noch ausgewiesene Expertin in diesem Dingen. Ich habe diese Situation lediglich erlebt und schreibe hier meine ureigenen Gedanken nieder. Vielleicht ist das hilfreich für irgendjemanden. Das wäre schön, denn dann hätte das Ganze wenigstens einen Nutzen. Vielleicht geht es dir aber auch ganz anders. Dann lies das hier gar nicht oder nur zur Unterhaltung. Ist doch auch schön, wenn man sagen kann: „Ha, es gibt Menschen, denen es noch schlechter geht als mir selbst“. Und ja, das meine ich ganz ernst. Wenn das hilft, dann hilft es.*
Ziemlich genau zwei Wochen ist es nun her, dass mein Mann sagte: „Ich will mich trennen“. Waren das die schlimmsten Wochen meines Lebens? Ich schätze, ja. Wenn die Welt, die man kennt, quasi ohne Vorwarnung aus den Fugen gerät, wenn einem plötzlich das Dach, das man für sicher gehalten hat, mit einem gewaltigen Krachen auf den Kopf fällt, kalter Wind durch die kaputten Wände pfeift und man eigentlich nur noch unter den Trümmern liegenbleiben will, dann ist das schlimm. Dann hat man plötzlich nichts mehr, woran man sich festhalten kann. Dann hat man erst einmal nur sich selbst. Und wenn dieses Selbst kaputt am Boden liegt, dann ist da nichts zum Festhalten.
Der eine reagiert mit Wut. Das habe ich im ersten Augenblick auch getan. Ich habe gewütet wie ein Berserker. Ich habe mit Dingen geworfen, Dinge gesagt, die ich nie hätte sagen dürfen. Allein, um zu verletzen. Um dem Gegenüber die gleichen Verletzungen zuzufügen, die ich erlitten habe. Blindwütig. Vermutlich ist das normal. Und doch ist es nicht unbedingt produktiv. Vor allem dann nicht, wenn man beim blinden Zerstören die Fernbedienung des Fernsehers erwischt… der hätte nämlich zum guten Freund werden können.
Dann kam die Phase der Verzweiflung. Die Tränen, die ich tagelang vor lauter Wut nicht weinen konnte, wollten raus. In Sturzbächen. Eine Tatsache, die Umwelt durchaus auch mal verunsichern kann. Aber das ist egal. Damit muss die Umwelt nun mal leben. Es folgten in loser Reihenfolge das Baden in Selbstmitleid, kurze Wutanfälle, wieder Tränen und manchmal nur noch absolute Bewegungslosigkeit. Geistig wie körperlich.
Irgendwann setzt dann das Hirn wieder ein. Früher oder später. Wann das passiert, ist vermutlich Typsache. Wenn es soweit ist, ist es gut. Wenn es noch nicht soweit ist: Es wird passieren. Und falls es nicht passiert: Es gibt Hilfe. Die sollte man dann auch in Anspruch nehmen. Wenn man selbst dazu nicht in der Lage ist: Freunde oder Familie um Hilfe bitten. Wenn die nicht da sind: Arbeitskollegen, Nachbarn, den Postboten oder die Telefonseelsorge.
Ich bin durch die ersten Wochen durch. Und wenn meine Erfahrungen mit dieser Situation auch nur irgendeinem Menschen, der sie nach mir durchleben muss, helfen können, dann freue ich mich. Deshalb habe ich einfach mal aufgeschrieben, wie ich die erste Zeit überlebt habe.
Ich bin wichtig
Ich stehe an erster Stelle. Die Wünsche und Bedürfnisse der restlichen Welt dürfen mir gerade mal egal sein. Wenn ICH jetzt nicht für mich selbst sorge, dann tut es vermutlich niemand. Es gibt Situationen, in denen muss man zum Egoisten mutieren. Da darf man die Kinder wegorganisieren, den Hund zum Nachbarn geben und nur an sich allein denken. Und wenn man das Gefühl hat, dass die eigenen Welt in Stücken liegt und man selbst völlig wertlos ist - denn das hat einem der Partner ja gerade signalisiert - dann ist es das Schlimmste, was man tun kann, sich tatsächlich wertlos zu fühlen. Dann hinterfragt man sein gesamtes Selbst und wird es nicht mit Wohlwollen tun. Am Ende sollte aber immer eine Erkenntnis stehen: ICH bin wichtig.
Richtig ist alles, was ICH will
Eigentlich nichts anderes als Punkt eins. Und trotzdem schwierig umzusetzen. Wenn der Rest der gewohnten Welt flöten geht, wenn man keine Orientierung mehr hat, dann ist es plötzlich gar nicht so einfach zu wissen, was man will. Man wird überhäuft mit guten Ratschlägen. Das ist immer lieb gemeint. Aber es setzt einen auch unter Druck. Man kann sich jeden Ratschlag anhören. Aber man muss ihn nicht befolgen. An erster Stelle sollte immer die Frage stehen: Was will ich? Dabei ist es völlig egal, ob der Rest der Welt die eigenen Wünsche nachvollziehen kann oder sie für völlig bescheuert hält. Tu das, was sich für DICH richtig anfühlt. Egal, was alle Anderen davon halten. Die stecken nicht in deinen Schuhen. Du wirst mit ziemlicher Sicherheit auch falsche Entscheidungen treffen. Die kann man irgendwann korrigieren. Aber wenn du schon in deiner Lage fremdbestimmt bist, solltest Du für alles Andere auf Dich selbst hören.
Familie und Freunde
Freunde und Familie sind zu jeder Zeit wichtig. Aber noch wichtiger sind sie genau jetzt. Ruf sie an. Schreibe ihnen. Melde dich und bitte um Hilfe, wenn du Hilfe brauchst. Genau dafür sind Freunde und Familie da. Und ja, es kann sein, dass man dabei Enttäuschungen erlebt. Das ging mir auch so. Eine meiner wichtigsten Freundschaften hat das letzte Jahr scheinbar nicht so richtig gut überstanden. Es hakt. Ich fühle mich unerwünscht. Das gehört vermutlich dazu. Nicht nur Liebesbeziehungen gehen in die Brüche. Freundschaften können das auch tun. Wenn es gerade jetzt passiert, ist das ein zusätzlicher Schock und man fühlt sich doppelt verlassen. Dafür tun sich aber an anderer Stelle Freunde auf, an denen man sie nicht vermutet hätte. Das ist so. Du musst nur hinsehen.
Wärme und Geborgenheit
Von jetzt auf gleich gefühlt schutzlos zu sein ist schrecklich. Da kann, so bescheuert es klingt, sogar eine schlichte Decke helfen. Die wärmt. Oder die Umarmung eines Freundes. Oder auch die eines Menschen, der vielleicht dein Freund wird. Eine Ecke, in der man sich geborgen fühlt. Und nein, das ist vermutlich nicht das ehemalige gemeinsame Bett. In dem fühlt man sich allein, einsam und verloren. Es spricht aber nichts dagegen, aufs Sofa umzuziehen. Oder das Bett auf den Sperrmüll zu bringen und sich einen Matratzenstapel für sich ganz allein zu bauen. Eine Tasse Tee - hilft mir tatsächlich. Lippenstift und Concealer haben sich dagegen bisher als nutzlos erwiesen.
Rausgehen. Oder nicht.
Wenn du das Gefühl hast, dass du nur noch sinnlos Wände anstarrst, geh raus. Geh spazieren. Am besten da, wo du nicht allzu viele Menschen triffst. Da kannst du den Wald anschreien. Oder heulen. Und du läufst nicht Gefahr, lauter glückliche Paare zu treffen. Man glaubt gemeinhin kaum, wie viele glückliche Paare man plötzlich sieht, wenn man selbst nicht mehr Teil eines solchen ist. Also lieber in den Wald oder den Park. Da trifft man tagsüber nur Menschen mit Hunden. Und die sind meist allein unterwegs.
Wenn Freunde dich einladen, mit ihnen auszugehen: Gib dir einen Ruck und geh mit. Vielleicht wird es ein richtig lustiger Abend. Vielleicht auch nicht. Dann darfst du einfach irgendwann gehen, wenn du nicht mehr magst. Keine falsche Rücksicht. Sag deinen Freunden, dass du dich nicht gut fühlst und geh nach Hause. Aber versuch es beim nächsten Mal wieder.
Horch einfach in dich rein. Dann weisst du schon, ob du raus willst oder lieber im schützenden Zuhause bleiben möchtest. Nur wenn die Einsiedel-Phase zu lange dauert und du dich nach ein paar Tagen immer noch zu gar nix aufraffen kannst, dann ist es vielleicht ratsam, einfach mal zum Arzt zu gehen.
Netflix rettet. Ein bisschen.
Abends im Bett drehen sich die Gedanken. Sie werden immer schwerer und einschlafen scheint unmöglich. Kenne ich. Meine Therapie: Netflix. Am besten eine Krimiserie mit einem richtig miesen, bösen Schurken. Ich empfehle in diesem Fall „The Fall“. Dagegen habe die miesesten Gedanken keine Chance und irgendwann schläft man einfach ein. Ich zumindest. Ins Bett kuscheln, Serie auf dem Notebook an und ich schlafe mit ziemlicher Sicherheit innerhalb einer halben Stunde ohne diesen furchtbaren Gedenkenwust. Dass man am nächsten Morgen eine Viertelstunde braucht, um die Stelle zu finden, an der man eingeschlafen ist und an der man am nächsten Abend weitergucken möchte, ist dabei eine lohnende Investition.
Ein bisschen Routine schadet nicht
Wenn es möglich ist, geh wie üblich ins Büro und versuche, die Tage irgendwie durchzustehen. Die tägliche Routine hilft dabei abzuschalten und an etwas anderes zu denken. Ich habe meinen Kollegen, zu denen ich eine sehr gute Beziehung habe, ohne zu zögern reinen Wein über meine Situation eingeschenkt. Das erspart die eine oder andere peinliche Situation. Meine Kollegen sind auch Menschen und wissen jetzt, dass ich im Moment halt nicht so belastbar bin wie üblich. In unserem Team ist das kein Problem. Mitleidig geguckt hat übrigens auch niemand. Klar kann man sein Privatleben im berufichen Kontext sehr bedeckt halten. Aber spätestens wenn man in einem Meeting plötzlich losheult, muss man sich sowieso erklären.
Hol dir Hilfe
Wenn das alles nicht nutzt und man länger als ein oder zwei Wochen in Schockstarre verharrt ist es vielleicht an der Zeit, sich Hilfe zu suchen. Erster Anlaufpunkt: Der Arzt des Vertrauens. Dem ist übrigens nichts Menschliches fremd und dem darf man gern erzählen, was einem widerfahren ist. Er weiß auch, wer weiterhilft. Und zur Not gibt es zur Soforthilfe sogar etwas von Ratiopharm. Dazu allerdings ein freundlicher Hinweis: Lest die Packungsbeilage. Sonst findet ihr Euch in einer Situation, in der das Kind dringend um Abholung bittet und ihr erfahrt lesenderweise, dass ihr jetzt gar nicht Auto fahren dürft. Es bedarf eines gewissen Aufwandes, so etwas plötzlich allein erziehend zu bewältigen. Immerhin blieben nur noch gut 10 Monate, dann muss ich hier nix mehr erziehen.
Rückschläge sind normal
Wenn die erste Schockstarre überwunden ist, ist man unendlich erleichtert. Darüber, dass man nicht jede Sekunde unvermittelt anfangen könnte zu weinen. Darüber, dass man endlich wieder Prioritäten im eigenen Leben sieht. Und dann kommt wieder irgendein blöder Gedanke des Wegs, der das alles scheinbar kaputt macht und man sitzt schon wieder in dem Tal, aus dem man doch schon raus zu sein glaubte. Das ist normal. Das muss wohl so sein. Denn diesmal kommt man da in der Regel viel schneller wieder raus. Geht mir zumindest so. Ich habe Strategien gelernt, mich aus diesen Gedanken zu befreien. Sie beherrschen nicht mehr meinen ganzen Kopf. Sie gehen wieder weg. Sie sind vermutlich immer noch da und werden mich noch lange überfallen. Aber ich kann sie bremsen. Und allein das ist ein gutes Gefühl.
Liebe Grüße
Fran