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Mutti-Muff in Bermudas und die neue Spießigkeit

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Allüberall im Internet und in den sozialen Medien stehen in stylishen Wohnungen Bilder auf dem Fußboden. Früher mal, da hängte man Bilder an die Wand. Jetzt stehen sie auf dem Fußboden, neckisch an die Wand gelehnt. Das ist angesagt. Jedes Mal, wenn ich das sehe, frage ich mich, ob das nicht furchtbar unpraktisch ist. Man muss die Bilder jedesmal, wenn man saugen will, hochnehmen. Also ich müsste das. Bei mir hängen hinter allem, was auf dem Boden steht, innerhalb von einer Woche Staubflusen. Vielleicht liegt das daran, dass ich so staube. Oder am Kind. Die sind ja praktischerweise schuld an allem. Klar habe ich sowohl einen kabellosen Staubsauger und einen Saugroboter, die sich die Saugarbeit teilen. Ich will ja auch stylish sein ;-) Trotzdem hängen meine Bilder an der Wand, wie früher. Ich bin spießig.

Bermudas sind gerade voll angesagt. Wohin ich auch schaue im Internet und in den sozialen Medien begegnen mit Bermudas. Mit dem Hinweis, dass die ja voll hip sind und ebendeswegen vom Mutti-Muff, den sie früher mal ausdünsteten, befreit. Ich habe in den letzten zehn Jahren eigentlich in jedem Sommer Bermudas getragen. Ohne dass sie hip waren. Vermutlich verbreitete ich damit ebenjenen Mutti-Muff. Ist ja auch was Wahres dran. Wenn meine Kinder mich so richtig ärgern wollen, nennen sie mich Mutti. Soll ich mich jetzt freuen, dass meine Lieblings-Sommer-Beinkleider jetzt hip sind und plötzlich nicht mehr „Mutti“ schreien? Oder mich fragen, ob ich in all den Jahren voll spießig war? Keine Ahnung. Ich zieh die einfach weiter an und denke nicht drüber nach.

Oh, und noch ein Punkt, in dem ich sowas von spießig bin: Rechtschreibung. Und nein, ich meine nicht Buchstabendreher oder vergessene Buchstaben. Darin bin ich deutscher Meister, das weiß ich selbst. Aber immer, wenn ich Wörter wie „Harken“ lese, der Verfasser des Textes meint aber einen schnöden „Haken“, dann rolle ich innerlich mit den Augen. Zum Harken benötigt man eine Harke und einen Untergrund, der sich harken lässt. Ein Beet etwa. An einem Haken dagegen kann man etwas hängen. Oder man macht einen Haken an etwas. Bedeutet: Ist erledigt. Sind also zwei grundverschiedene Dinge.

Ganz ähnlich ist das mit der Muse und der Muße. Die Muse ist die, die gern mal küsst. Oder eine Claudia Schiffer. Die war anno Tuck die Muse von Karl Lagerfeld. Sie hat ihn inspiriert. Naja, oder so ähnlich. Muße dagegen ist schlicht und ergreifend freie Zeit. Ich habe also Muße, irgendetwas zu tun oder übe mich im Müßiggang. Und wenn ich Glück habe, küsst mich dabei die Muse. Welch einen Unterschied ein schnödes s doch machen kann.

Joa, und dann wäre da noch die Pupertät. Die ist scheinbar angelehnt an die Pubertät, nur dass man in der Pupertät häufiger mal pupst? Keine Ahnung. Meine Kinder hatten eine stinknormale Pubertät mit „b“, ebenso wie ich und wir sind damit eigentlich ganz gut klar gekommen.

Wie gesagt: Rechtschreibfehler bringen den kleine Spießer in mir zum Augenrollen. Hat vermutlich mit meinem Beruf zu tun. Ich hasse Korrekturlesen und muss das täglich seitenweise tun. Und ich bin ein Fehler-Trüffelschwein. Außer, es handelt sich um meine eigenen Texte. Da finde ich nix. Die scheinen perfekt zu sein ;-)

Etwa genauso spießig bin ich bei nur am Rande existierenden Fremdsprachenkenntnissen, die viele Menschen trotzdem vor sich hertragen. Wenn Influencer A eine Kooperation mit einem französischsprachigen Unternehmen hat, aber kein Französisch spricht, ist das nicht tragisch. Es gibt bestimmt irgendjemanden in der PR-Abteilung, der ihm mitteilt, wie man den Namen der Produkte ausspricht. So viel Engagement sollte schon drin sein, finde ich. Und dann vielleicht ein paarmal im stillen Kämmerlein üben, gelle? Ja, ich weiß. Das ist schon wieder volle Kanne spießig. 

Was mich allerdings kürzlich wirklich zum Lachen gebracht hat, war ein Influencer, der vermutlich ganz tief drinnen genauso spießig ist wie ich. Dem erschien der Hashtag #blacklivesmatter irgendwie merkwürdig. Ist er ja auch, wenn man irgendwann mal in der Schule gelernt hat, dass „to live“ leben heißt und ein Verb ist, das zugehörige Substantiv aber life ist. Dieses Wissen ist das Ergebnis eines Englischunterrichtes, der sich ausschließlich auf britisches Upperclass-Englisch bezieht, also das Ergebnis des Englischunterrichtes in 95 Prozent der deutschen Schulen. Und danach ist #blacklivesmatter schlichtweg falsch.

Da die Bewegung allerdings nicht von Oxford-Studenten gegründet wurde, sondern in den USA auf der Straße entstand, heißt sie eben so wie sie heißt. Mit „v“ statt „f“. Der erwähnte Influencer fand aber intuitiv den Fehler und änderte den Hashtag upperclass-mäßig in #blacklifesmatter. 

Ich fand durchaus, dass das eine wahnsinnig subtile Form von Rassismus war. Chapeau und Hut ab. Das muss man erstmal bringen. Aber vermutlich bin ich darin, das witzig zu finden, allein auf weiter Flur. Liegt vermutlich wieder mal daran, dass ich spießig bin.

Um das Maß an Spießigkeit jetzt voll zu machen, habe ich sogar noch ein spießiges Outfit für Euch :-) Selbstverständlich mit Bermudas. Die liebe ich im Sommer, egal ob sie gerade im Trend liegen oder nicht. Siehe oben. Und weil Bermudas in diversen Ausführungen ohnehin in meinem Schrank wohnen, habe ich die Gunst der Stunde genutzt und einen kompletten Anzug erstanden, also Bermuda mit passendem Blazer. Um dem Spießer in mir ein bisschen Futter zu geben :-) Auf diese Weise kann man nämlich wunderbar auch bei spießigen Terminen im Beruf eine Bermuda tragen :-) Zum Anzug gehört, wenn es halbwegs offiziell sein soll, eine Bluse. Und weil ich an diesem Tag eigentlich nur halb-offiziell unterwegs war, durften Turnschuhe und Rucksack mit. So gewandet habe ich unter anderem einige denkwürdige Orte meiner Kindheit besucht und mein eigenes Kind vollgesabbelt mit ganz vielen Erinnerungen an ebendiese Orte. Und das Kind lächelte und sagte „Ach, Mutti“. Womit wir wieder genau da sind, wo wir angefangen haben. Bermudas haben eben doch was von Mutti *grins*






Liebe Grüße
Fran




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