Oh Gott, ich bin spießig. Mächtig spießig. Das habe ich kürzlich von zwei jungen Hauptstadt-Bloggerinnen erfahren. Jaja, ich weiß schon. Ich sollte nicht alles lesen, was mir unter die Finger kommt. Mag ja sein, dass ihr Recht habt. Aber dann wüsste ich jetzt nicht, dass ich spießig bin.
Also lese ich weiter alles, was mir so vor die Füße kommt. Denn wenn man aufmerksam ist, lernt man auch was. Dass man spießig ist, zum Beispiel. Ja, und warum bin ich das?
Punkt eins: Ich habe Kinder. Das ist ja mal spießig as hell. Noch schlimmer: Ich habe sogar zwei davon. Und spätestens mit dem Zweiten kann ich mich auch nicht mehr rausreden, dass es ein Unfall war. Ich habe keines der beiden Kinder in einer Kinderklappe verklappt. Wenn meine Töchter wenigstens meine besten Freundinnen wären, dann ginge das vielleicht noch. Aber ich bestehe blöderweise auch noch darauf, dass ich ihre Mutter bin, nicht ihre Freundin.
Punkt zwei: Ich lebe in einem winzigen, norddeutschen Dorf und brauche eine halbe Stunde, bis ich in der Hamburger City bin. Ich habe ein Haus mit Garten. Keine coole Dachterrasse, sondern einen Garten. So richtig mit Rasenmähen und Blumen pflanzen. Ich lebe - im Speckgürtel! Gruselig! Naja, immerhin ist es kein Reihenhaus. DAS wäre wohl das totale Aus.
Punkt drei: Ich mache Urlaub, ohne dass ich das Ziel danach auswähle, ob man dort tolle Bilder machen kann, die man auf Instagram postet.
Punkt vier: Ich habe keinen Mann, der mir eben mal eine Porsche kauft, weil er ein total erfolgreicher Fonds-Manager ist. Ich habe nichtmal einen Mann, der es mir ermöglicht, neben der Kindererziehung und dem Beaufsichtigen des Personals in Charity zu machen. Ich verbringe meine wertvolle Lebenszeit anstatt beim Lunch-Date mit dem Ladies-Circle in einem Büro. Und das hat einen grauen Teppichboden und keine Bauhaus-Möbel. Wie konnte mir mein Leben so entgleiten?
Punkt fünf: Es gibt keine Späti hier im Dorf. Es gibt meine Nachbarin. Die hat von Eiern bis Hefe alles, was ich gerne mal nach Ladenschluss brauche. Was die nicht hat, ist Gras. Wenn ich also spätabends gern noch nen Joint hätte, bin ich aufgeschmissen. Da ich aber endspießig bin, brauche ich spätabends nie nen Joint ;-)
Tja. Vermutlich ist auch meine Kleiderwahl mächtig spießig. Ich meine: Ein Hemdblusenkleid. Mit Streifen. Hallo? Das trug man schon vor 20 Jahren und vermutlich fällt man damit auch in 20 Jahren nicht weiter auf. Nach diesem Kleid habe ich übrigens ziemlich lange gesucht. Gestreifte Hemdblusenkleider gibt es zwar wie Sand am Meer, aber wenn es aus Baumwolle sein soll, aber bitteschön weder steif noch durchsichtig, wenn es nicht beim ersten Angucken das Knittern bekommen soll, in Midi-Länge, der Rock bitte ausgestellt und außerdem entweder ohne Ärmel oder mit kurzen, auf keinen Fall aber mit langen Ärmeln, dann sucht man sich schonmal nen Wolf. Eigentlich hatte ich mich längst damit abgefunden, dass das Kleid, das ich wollte, nirgendwo existiert. Und dann war ich am letzten Wochenende wieder auf Eltern-Besuchs-Tour und entdeckte dieses Exemplar. Genau zwei Kleider waren noch da. Ich griff zu, schleppte meine Beute in die Umkleidekabine und probierte es an.
Als ich aus der Kabine kam, stand eine andere Frau gerade vor der Kabine nebenan, ebenfalls auf der Suche nach einem Sommerkleid. Sie sah mein gestreiftes Exemplar, bekam große Augen, bekam noch größere Augen und fragte wie aus der Pistole geschossen: „Wo hängt das?“ Ich verriet es ihr und dann gaben wir strahlend vor der Kabine die Kleider-Zwillinge. Nach einem kleinen Plausch gingen wir dann gemeinsam zur Kasse und verabschiedeten uns herzlich. Ach ja, das war nicht in Hamburg, sondern im schönen Westfalen. Der spröde Norddeutsche wäre zu einer spontanen Kleider-Freundschaft vor der Umkleidekabine vermutlich nicht fähig ;-) Zumindest ist mir sowas in Hamburg noch nie passiert. Macht aber nix, dafür haben die Norddeutschen andere Qualitäten. Die Ostsee in Reichweite zum Beispiel.
So zog ich also mit dem Spießer-Kleid von dannen :-). Derweil überlege ich, ob so ein Hauptstadt-Bloggerleben ohne Kinder und Garten, weil beide nur Arbeit machen, mit ausschließlich Instagram-tauglichen Urlaubszielen und einem vom Gatten finanzierten Lifestyle nicht eigentlich ganz schön spießig ist und kam zu dem Schluss, dass das letzendlich einfach nur egal ist. Ich fühl mich wohl mit meinem Leben und mit meinem neuen Kleid. Und das ist es, was letzlich zählt. Soll doch jeder einfach so glücklich werden wie er mag. Und vielleicht einfach weniger drüber nachdenken, was Andere tun :-)
Liebe Grüße
Fran